Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen
Passend zu Halloween erzählt das Märchen "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" schön-schaurig von der Freude am Gruseln. Denn die Angst steht in diesem Märchen im Mittelpunkt. Wer an dieser Lust am Grusel Freude hat – und dabei wohlbehütet im Erzählkreis sitzen mag, für den ist dieses Märchen genau richtig!
In Märchen begegnen den Zuhörern und Lesern immer wieder Gewalt und Brutalität, aber meist als Randerscheinung oder als rabiater Kniff, um die Handlung voranzutreiben: So wird schnell mal die Ferse abgeschnitten, weil der Schuh nicht passt (Aschenputtel), Stiefmütter auf glühende Kohlen geschickt, weil sie so gemein waren, da essen Hexen kleine Kinder (Hänsel und Gretel), Prinzen werden die Augen ausgestochen (Rapunzel) oder Müllerstöchter nächtelang in Kammern mit Stroh eingesperrt (Rumpelstilzchen). Am Ende siegt die Gerechtigkeit oder die Liebe, alle sind ein bisschen klüger geworden, die Gewalt ist vorbeit, die Angst ist ausgestanden. Ein Märchen aber gibt es, bei dem Schauer und eindrucksvolle Gruselmomente mit einer gehörigen Portion Gewalt selbst im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Wer sich freut an der Lust am Grusel, aber dabei wohlbehütet im Erzählkreis sitzen mag, für den ist das Märchen "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" genau richtig!
sagt ein unbedarfter junger Mann in diesem Märchen immer wieder. Erstaunt beobachtet er, dass andere Menschen ständig vor diesem und jenem Angst zu haben scheinen er aber spürt nichts und das empfindet er als großen Nachteil. Das "Gruseln" erscheint ihm als eine so großartige Fähigkeit, dass er es "lernen" möchte: Es scheint ja doch wertvoll zu sein, wenn alle immer davon reden, sodass man sich bestimmt den Lebensunterhalt damit verdienen könnte. Und so zieht der Junge aus, um das Gruseln zu lernen. Er versteht offenbar gar nicht die Zusammenhänge: Die Angst ist zwar eine treue Begleiterin im Leben, aber eigentlich wird sie als unangenehm empfunden und Geld verdienen kann man mit der Angst eher nicht (außer vielleicht als Geschichtenerzähler oder Horror-Autor). Auf seiner Reise erlebt der Junge viele angsterregende Situationen, die in anderen Menschen das Adrenalin ins Blut schießen lassen und Panik erzeugen würden, er aber ängstigt sich nicht, im Gegenteil: Auf seine kalt-blütige Art hält er alle Geister (falsche und echte Geister, tote und lebende Tote, Monster und Riesen ...) in Schach. Am Ende des Märchens ist klar, dass sich der Junge seinen Lebensunterhalt (seine neu erworbene Stellung als Mann der Prinzessin und neuer König) eigentlich damit verdient hat, keine Angst zu haben. Umso tröstlicher für uns Normal-Ängstliche ist es, dass der Junge im zwischenmenschlichen Bereich doch noch lernt, was Gruseln ist.
Auf unbedarfte Art wird im Märchen mit den Begriffen und Inhalten von "Gruseln", "Fürchten" und "Schock/Ekel" (der Eimer mit Fischen, mit dem die Frau ihren Mann am Ende der Geschichte erschreckt) umgegangen. Aber alle drei Aspekte gehören nun mal zu einer guten Schauergeschichte. Wir wissen zwar: Angst schützt uns in Gefahrensituationen, sie kann auch eingesetzt werden als Machtinstrument dann ist die Angst jedoch überhaupt nicht lustig, weil die Situationen real sind. Gefiltert und abgeschwächt aber, in fiktiven Schauergeschichten, Thrillern und Horrorfilmen, können wir uns dem Phänomen Angst und all den Schrecknissen, die Angst hervorrufen, annähern und sie verarbeiten oder uns sogar ein Stück auf das "echte" Leben vorbereiten. Vor allem aber finden viele von uns Spaß daran das zeigt die große Übermacht an Krimis (in Buchform und als Film) und Phänomene wie Halloween.
Märchen bieten einen großen Reichtum an inneren Bildern und somit einen leicht zugänglichen und spielerischen Beitrag zur Psychohygiene. Das Märchen "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen" spielt mit dem Thema Angst auf ironische und teilweise absurde Art und Weise. Jeder kann sich bei dieser Geschichte selbst herausziehen, was er mag: Dass es klug sein kann, die Angst zu überwinden. Oder dass jeder etwas anderes gruselig findet. Oder dass man sich nicht so leicht entmutigen lassen sollte.
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Ein junger Mann, der keine Angst kennt, will unbedingt das Fürchten lernen. Aber nichts, was ihm begegnet, gruselt ihn. Und plötzlich geht sein Wunsch doch noch in Erfüllung …
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