Interkulturelle Begegnung durch "erzählende Bilder"
Bilder und Geschichten bauen Brücken zwischen den Kulturen. Aber wie kann Kommunikation mit Flüchtlingen und Zugewanderten ohne gemeinsame Sprache gelingen? Kamishibai Erzähltheater und Bildkarten öffnen Türen zum gegenseitigen Kennenlernen – und wecken Freude durch gemeinsame Erlebnisse!
In der Begegnung mit vielen Menschen, die als Geflüchtete Schutz und Sicherheit in Europa suchen, stellt sich allerorts die Frage, wie das Ankommen und Einleben für Kinder, Jugendliche, Männer und Frauen mit Verständnis und Einfühlungsvermögen begleitet werden kann. Sprache und Kommunikation spielen dabei eine Schlüsselrolle. Vielerorts engagieren sich Ehrenamtliche als Sprach- und Integrationlotsen, unterstützen das Deutschlernen und versuchen über verschiedene Wege, das gegenseitige Kennenlernen und Vertrautwerden durch gemeinsame Aktivitäten mitzugestalten. Dabei erweist sich das Geschichtenerzählen, verbunden mit spielerischen, sinnlichen und bildlichen Mitteln, als eine Brücke zwischen den Kulturen, die auch mit nur geringen Sprachkenntnissen trägt.
Lernen können wir von der nigerianische Geschichtenerzählerin Chimamanda Ngozi Adichie: Sie erzählt und verbreitet Geschichten, um nicht in die „Gefahr einer einzigen Geschichte“ zu geraten. Denn für ein Leben in Vielfalt brauchen wir eine Vielfalt an Geschichten, die uns zeigen, wie wir Vertrautes und Fremdes, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Alltag wertschätzen und teilen können. In diesem Sinne bietet das gemeinsame Entdecken und Kennenlernen von Geschichten und Bildern die Chance der Inklusion, wenn alle Kinder und Familien sich einbezogen fühlen und Freude daran haben können – die Geflohenen und Zugewanderten ebenso wie jene, die schon lange oder immer hier leben. Das gelingt bei denen, die erst seit kurzer Zeit bei uns sind und sich über Schriftsprache noch nicht sicher orientieren können, durch persönliche und mündliche Ansprache und Einladung besonders gut.
Die Erfahrung, sich in die Welt der Bilder zu vertiefen und in ihnen etwas zu „lesen“, was nicht eindeutig „festgeschrieben“ ist, wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen. Menschen – und ganz besonders Kinder – können nach erlittener Not durch Krieg und Flucht und inmitten der großen Anstrengung der Neuorientierung Entspannung dabei finden, ihre Fantasie mit neuen Bildern anzuregen, sich in Bilderwelten hinein zu träumen, Vertrautes zu erkennen und über Wunderbares zu staunen. Gleichzeitig bieten Bilder in Verbindung mit dem gesprochenen, vielleicht auch gesungenen Wort eine hervorragende Hilfe beim Erwerb einer neuen Sprache – oder helfen Eltern dabei, das Erzählen in der vertrauten Muttersprache als kulturellen Schatz in der noch fremden Umgebung weiter zu pflegen und ihren Kindern damit Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Und ganz besonders wichtig: Beim Erzählen zu Bildern geht es immer um Dialog, um persönliche Kommunikation zwischen Menschen, die durch Bilder niemals verstellt, sondern vielmehr gestützt wird. Entscheidend ist nicht das Medium selbst, sondern die vermittelnde Wirkung des Mediums in der Begegnung von Mensch zu Mensch.
Daneben kann das, was durch Bilder und begleitende Worte erzählt wird, auch als eine „Botschaft“ für ein gutes Miteinander im Sinne einer weltweit gültigen Kultur der Menschenrechte verstanden werden, die von gemeinsamen Werten geprägt ist – nicht vordergründig moralisch und belehrend, sondern einladend und anregend, um über Bilder und Geschichten mit folgenden Erfahrungen vertraut zu werden:
Das ursprünglich aus Japan stammende Kamishibai steht für eine lange interkulturelle Tradition des bildgestützten Erzählens mit mobilen Mitteln, die überall leicht zum Einsatz kommen können: Bewegliche Bildkarten erzählen Geschichten und der Rahmen sorgt nicht nur dafür, dass diese Bilder einen gut sichtbaren Platz finden, Zeit und Ruhe zum Betrachten schenken. Er trägt auch dazu bei, dass dem Bild – und damit seiner „Botschaft“ - eine besondere Konzentration und Wertschätzung entgegen gebracht wird. Drei charakteristische Eigenschaften und Chancen des Kamishibais machen den besonderen Reiz dieses Mediums aus und haben seine weltweite Verbreitung und Weiterentwicklung mit beeinflusst:
In einer Handreichung des Goethe-Instituts heißt es speziell zur sprachfördernden Wirkung des Kamishibais: „Die Visualisierung des Inhalts hilft den Zuschauern sich in der fremdsprachigen Geschichte besser zu orientieren und bündelt deren Aufmerksamkeit. Das Kind hört die Geschichte und schaut sich gleichzeitig die Illustrationen an. Die Bilder unterstützen und verstärken die Kraft der inneren Bilder, die die Vorstellungskraft des Kindes zuvor ausgelöst hat. Kamishibai bezieht das Kind in die erzählte Geschichte ein, indem es einfache Wörter und Sätze in der Fremdsprache zusammen mit anderen Kindern wiederholen kann.“ Quelle: https://www.goethe.de/resources/files/pdf43/kamishibai_broszurka_DE.pdf
Die Gruppe sollte nicht zu groß sein! Ideal ist ein Vorlesen und Erzählen in Kleingruppen (d.h. mit weniger als 10 Kindern), damit eine persönliche Ansprache und individuelle Berücksichtigung von verschiedenen sprachlichen Voraussetzungen und Reaktionen der einzelnen Kinder möglich ist. Das Kamishibai eignet sich auch deshalb besonders gut für das dialogische Erzählen, weil es durch das große Format des stehendes Bildes eine gute Bilderkennung für alle Kinder gewährleistet, während sich der oder die Vorlesende / Erzählende mit Sprache und Gesten ungeteilt den Kindern zuwenden kann.
Bei geringen Deutschkenntnissen bzw. verschiedenen Herkunftssprachen helfen die Bilder, zugleich aber auch begleitende Gesten und spielerische Mitmach-Elemente dabei, die Bedeutung der gesprochenen Worte zu entschlüsseln, Sinnzusammenhänge zu konstruieren und das Vertrauen in Wiedererkennbares zu stärken.
Zu den Bildkartenserien, die sich in diesem Sinne dieser Kriterien besonders gut zum Vorlesen und Erzählen bei Kindern zwischen 3 und 6 Jahren mit verschiedenen Herkunftssprachen und geringen Deutschkenntnissen eignen, gehören:
Kinder brauchen Hoffnung und Zuversicht, um sich entwickeln zu können – gerade in Zeiten von Krieg und Krise. Fachkräfte und Eltern können aktiv dazu beitragen, dass die eigene Angst nicht die Sicherheit und nötige Zuversicht im Umgang mit Kindern beeinträchtigt. Die Sozialpädagogin Maria Zens zeigt Wege auf und unterstützt mit einer Hoffnungsgeschichte zum Erzählen und Vorlesen.
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